ribbon-yellow
Loading

HIV-assoziierte Lungenkarzinome

ICD-10 C34
Stand September 2017
Dies ist die aktuell gültige Version des Dokuments

1Zusammenfassung

Unter den Nicht-AIDS-definierenden Malignomen (NADM) ist das Lungenkarzinom eine der häufigsten Tumorerkrankungen und trägt einen erheblichen Teil zur Morbidität und Mortalität bei HIV-positiven Patienten bei [13]. Da es bisher nur wenige prospektive Daten zur Therapie dieser Patientengruppe gibt, stellt die Behandlung HIV positiver Lungenkarzinompatienten eine besondere Herausforderung dar, die eine enge Zusammenarbeit von Onkologen, Strahlentherapeuten, onkologischen Chirurgen und Infektiologen erfordert.

2Grundlagen

2.1Definition und Basisinformationen

Lungenkarzinome zählen zu den Nicht-AIDS-definierenden Malignomen (NADM), welche inzwischen die häufigste Todesursache bei HIV-positiven Patienten sind [4]. Da aufgrund der kombinierten, antiretroviralen Therapie (cART) die Lebenserwartung bei einer HIV-Infektion deutlich zugenommen hat und es zunehmend ältere HIV-positive Patienten gibt, ist mit einer Zunahme HIV-positiver Lungenkarzinompatienten (HIV-LK) zu rechnen.

2.2Epidemiologie

Das Risiko an einem Lungenkarzinom zu erkranken ist in der HIV-positiven Population etwa 2-7mal höher als in der Allgemeinbevölkerung [567]. Das Erkrankungsalter liegt mit 45 Jahren im Median deutlich niedriger als bei HIV-negativen Patienten [8]. Mehr als die Hälfte der Patienten weisen zum Diagnosezeitpunkt ein Stadium III oder IV der Erkrankung auf. Histologisch findet sich am häufigsten das Adenokarzinom, gefolgt vom Plattenepithelkarzinom, dem großzelligen Karzinom und dem kleinzelligen Lungenkarzinom. HIV-typische Histologien treten nicht auf.

2.3Pathogenese

Wie in der Allgemeinbevölkerung gilt auch in der HIV-positiven Population das Rauchen als wichtigster Risikofaktor für die Entstehung eines Lungenkarzinoms. Der höhere Anteil an Rauchern unter HIV-positiven Patienten mag somit eine Ursache des höheren Erkrankungsrisikos sein. Daneben werden die HIV-Infektion selbst, das Vorliegen einer chronischen Immunsuppression auch bei einer gut behandelten HIV-Infektion und eine chronischen pulmonale Inflammation als mögliche Risikofaktoren diskutiert [29101112].

3Vorbeugung und Früherkennung

3.1Vorbeugung

Analog der Allgemeinbevölkerung ist das Einstellen des Rauchens, u.U. mit Hilfe von Anti-Raucher-Trainings, die wichtigste vorbeugende Maßnahme. Der frühzeitige Beginn einer cART könnte sich ebenfalls als wichtige vorbeugende Maßnahme erweisen und sollte daher insbesondere bei starken Rauchern erwogen werden.

3.2Früherkennung

3.2.1Bevölkerung (Screening)

Das Low-dose CT Screening bei starken Rauchern hat bisher nur in einer Studie eine Verlängerung der Überlebenszeit gezeigt [131415]. Diese Art der Früherkennung kann auch bei HIV-positiven Patienten bisher nicht als Standard definiert werden [8]. Ebenso ist der Nutzen regelmäßiger Röntgen-Thorax- Untersuchungen und/oder einer Sputumzytologie bisher nicht gesichert.

4Klinisches Bild

Charakteristische Symptome sind in Onkopedia NSCLC zusammengefasst.

5Diagnose

5.1[Kapitel nicht relevant]

5.2Diagnostik

5.2.1Erstdiagnose

Die histologische Sicherung mit zusätzlicher Mutationsanalyse und das Staging erfolgen analog zu den Empfehlungen bei den HIV-negativen Patienten, siehe Onkopedia NSCLC. Die Stadieneinteilung folgt der TNM bzw. UICC Klassifikation.

6Therapie

6.1Therapiestruktur

Die Therapie orientiert sich grundsätzlich an der Empfehlungen für HIV-negative Patienten, siehe Onkopedia NSCLC und Onkopedia SCLC. Eine Besonderheit ergibt sich durch die Notwendigkeit einer gleichzeitigen antiretroviralen Therapie und ggf. einer gezielten Infektionsprophylaxe.

6.1.1Antiretrovirale Therapie

Es ist damit zu rechnen, dass die meisten Patienten mit einem HIV-assoziierten Lungenkarzinom bereits eine cART erhalten. Diese sollte weitergeführt werden. Im Falle einer medikamentösen Tumortherapie sollte die cART nach Möglichkeit vor Beginn der Tumortherapie auf ein ungeboostertes Therapieregime ohne Ritonavir oder Cobicistat umgestellt werden. Auch mögliche Wechselwirkungen zu anderen antiretroviralen Substanzen müssen überprüft werden [1617]. Hat der Patient bei Diagnosestellung des Lungenkarzinoms bisher keine cART erhalten, so sollte diese vor Beginn der onkologischen Therapie begonnen werden.

Während der onkologischen Therapie sollte in regelmäßigen Abständen die Zahl der CD4 positiven Helferzellen sowie der HIV-Viruslast erfolgen. Insbesondere wenn die Helferzellzahl unter 200/µl fällt, sollte eine Pneumocystis jiroveci Pneumonie – Prophylaxe begonnen werden, siehe werden Onkopedia Bakterielle Infektionen und Pneumocystis jiroveci Pneumonie – Prophylaxe. Da aufgrund der onkologischen Behandlung ein CD4-Zell-Abfall eintreten kann, sollten regelmäßigen Kontrollen erfolgen. Einzelne Behandler befürworten eine Prophylaxe bereits bei gering über 200 /µl liegender CD4-Zellzahl.

6.1.2Nichtkleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC)

6.1.2.1Stadien I - III

Die HIV-Infektion ist keine Kontraindikation für eine onkologischen Resektion des Tumors und ggfs. eine adjuvante Chemotherapie, sofern der Allgemeinzustand des Patienten dies zulässt.

Bei fehlender Operabilität im Stadium III oder Komorbidität stellt die kombinierte Radiochemotherapie mit einem Cisplatin-basiertem Therapieregime die Standardtherapie dar.

6.1.2.2Stadium IV
6.1.2.2.1Solitäre Metastasen

35 – 40 % der Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom werden im Stadium IV diagnostiziert. Bei der Mehrzahl der Patienten ist der Therapieanspruch palliativ. Ausnahme sind Patienten im Stadium M1b, z. B. mit solitären Nebennieren-, ZNS-, Lungen-, Leber- oder Knochenmetastasen, bei denen ein kurativer Therapieansatz in Frage kommt.

6.1.2.2.2Medikamentöse Tumortherapie

Bei Patienten im Stadium IV mit multiplen Metastasen ist das Therapieziel palliativ. Die mediane Überlebenszeit liegt zwischen 8 und 12 Monaten. Bei Patienten mit aktivierenden Exon 19- oder Exon 21- sowie einigen der sog. „seltenen (uncommon)“ EGFR Mutationen sowie mit ALK– und ROS1-Translokationen unter gezielter Therapie ist sie mit >30 Monaten deutlich länger. Palliative Therapie beinhaltet die Behandlung körperlicher und psychischer Beschwerden. Sie erfolgt interdisziplinär.

Bei allen medikamentösen Tumortherapien müssen Wechselwirkungen zur antiretroviralen Therapie bedacht und ggfs. vor Beginn der Chemotherapie angepasst werden. Bei den Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) war eine HIV-Infektion in der Regel ein Ausschlusskriterium in den Zulassungsstudien, so dass es bisher keine prospektiven Daten zum Einsatz der TKI beim HIV-assoziierten Lungenkarzinom gibt. Kleinere Studien zum Einsatz von TKI bei anderen Nicht-AIDS-definierenden Malignomen (NADM) zeigen aber, dass dies möglich ist, hierbei aber besonders auf mögliche Wechselwirkungen zur CART geachtet werden sollte [181920212223]. Bei Vorliegen einer der Treibermutationen sollte daher auch beim HIV-assoziierten Lungenkarzinom als Erstlinientherapie ein TKI erwogen werden. Mehr prospektive Daten zum Einsatz der TKI beim HIV-assoziierten Lungenkarzinom mit Nachweis einer Treibermutation sind jedoch dringend erforderlich.

Auch bei den Zulassungsstudien der Checkpoint-Inhibitoren war die HIV-Infektion ein Ausschlusskriterium, so dass bisher keine Daten zum Einsatz dieser Substanzen beim HIV-assoziierten Lungenkarzinom vorliegen. Checkpoint-Inhibitoren mögen möglicherweise einen positiven Effekt auf die Erholung des durch HIV gestörten Immunsystems haben [2425]. Inwieweit aber eine tumorspezifische Immunantwort auch beim HIV-assoziierten Lungenkarzinom induziert werden kann, bleibt unklar. Es sind daher dringend prospektive Daten zum Einsatz von Checkpoint-Inhibitoren zur Therapie des HIV-assoziierten Lungenkarzinoms notwendig.

6.1.3Kleinzelliges Lungenkarzinom (NSCLC)

Bei HIV-positiven Patienten mit einem kleinzelligen Lungenkarzinom gelten grundsätzlich dieselben Therapie-Empfehlungen wie bei den HIV-negativen Patienten, siehe Onkopedia SCLC. Das betrifft sowohl die Standardchemotherapiekombination aus Cisplatin und Etoposid als auch den Einsatz einer lokalen Strahlentherapie und ggf. einer prophylaktischen Ganzhirnbestrahlung.

7Rehabilitation

Die Rehabilitation und Nachsorge erfolgt analog den Empfehlungen für HIV-negative Patienten.

8[Kapitel nicht relevant]

9Literatur

  1. Yanik EL, Napravnik S, Cole SR, et al.: Incidence and timing of cancer in HIV-infected individuals following initiation of combination antiretroviral therapy. Clin Infect Dis 57:756-764, 2013. DOI:10.1093/cid/cit369

  2. Clifford GM, Polesel J, Rickenbach M, et al.: Cancer risk in the Swiss HIV Cohort Study: associations with immunodeficiency, smoking, and highly active antiretroviral therapy. J Natl Cancer Inst 97:425-432, 2005. DOI:10.1093/jnci/dji072

  3. Shiels MS, Pfeiffer RM, Gail MH, et al.: Cancer burden in the HIV-infected population in the United States. J Natl Cancer Ins5t 103:753-762, 2011. DOI:10.1093/jnci/djr076

  4. Simard EP, Pfeiffer RM, Engels EA. Cumulative incidence of cancer among individuals with acquired immunodeficiency syndrome in the United States. Cancer 117:1089-1096, 2011. DOI:10.1002/cncr.25547

  5. Mani D, Haigentz M Jr, Aboulafia DM. Lung cancer in HIV Infection. Clin Lung Cancer 13:6-13, 2012. DOI:10.1016/j.cllc.2011.05.005

  6. Patel P, Hanson DL, Sullivan PS, et al.: Incidence of types of cancer among HIV-infected persons compared with the general population in the United States, 1992-2003. Ann Intern Med 148:728-736, 2008. PMID:18490686

  7. Engels EA, Brock MV, Chen J, et al: Elevated incidence of lung cancer among HIV-infected individuals. J Clin Oncol 24:1383-1388, 2006. DOI:10.1200/JCO.2005.03.4413

  8. Kiderlen TR, Siehl J, Hentrich M: HIV-associated lung cancer. Oncol Res Treat 40:88-92, 2017. DOI:10.1159/000458442

  9. Cadranel J, Garfield D, Lavolé A, et al.: Lung cancer in HIV infected patients: facts, questions and challenges. Thorax 61:1000-1008, 2006. DOI:10.1136/thx.2005.052373

  10. Degen O, Arbter P, Hartmann P, et al.: Smoking prevalence, readiness to quit and smoking cessation in HIV+ patients in Germany and Austria. J Int AIDS Soc 17(4 Suppl 3):19729, 2014. DOI:10.7448/IAS.17.4.19729

  11. Sigel K, Wisnivesky J, Gordon K, et al.: HIV as an independent risk factor for incident lung cancer. AIDS 26:1017-1025, 2012. DOI:10.1097/QAD.0b013e328352d1ad.

  12. Kirk GD, Merlo C, O' Driscoll P, et al.: HIV infection is associated with an increased risk for lung cancer, independent of smoking. Clin Infect Dis 45:103-110, 2007. DOI:10.1086/518606

  13. Aberle DR, Adams AM, Berg CD et al.: Reduced lung-cancer mortality with low-dose computed tomographic screening. N Engl J Med 365:395-409, 2011. DOI:10.1056/NEJMoa1102873

  14. Pastorino U: Lung cancer screening. Br J Cancer 102:1681-1686, 2010. DOI:10.1038/sj.bjc.6605660

  15. Marcus PM, Bergstralh EJ, Zweig MH et al.: Extended lung cancer incidence follow-up in the Mayo Lung Project and overdiagnosis. J Natl Cancer Inst 98:748-756, 2006. DOI:10.1093/jnci/djj207

  16. Welz T, Wyen C, Hensel M. Drug interactions in the treatment of malignancy in HIV-infected patients. Oncol Res Treat 40:120-127, 2017. DOI:10.1159/000458443

  17. http://www.hiv-druginteractions.org

  18. Berretta M, Di Benedetto F, Dal Maso L, et al.: Sorafenib for the treatment of unresectable hepatocellular carcinoma in HIV-positive patients. Anticancer Drugs 24:212-218, 2013. DOI:10.1097/CAD.0b013e32835c032f

  19. Mancuso A, Zavaglia C, Bai F, et al.: Letter: Sorafenib hepatotoxicity may be enhanced during treatment of advanced hepatocellular carcinoma in HIV-infected patients. Aliment Pharmacol Ther. 38:1414-1416, 2013. DOI:10.1111/apt.12536

  20. Rudek MA, Moore PC, Mitsuyasu RT, et al.: A phase 1/pharmacokinetic study of sunitinib in combination with highly active antiretroviral therapy in human immunodeficiency virus-positive patients with cancer: AIDS Malignancy Consortium trial AMC 061. Cancer 120:1194-1202, 2014. DOI:10.1002/cncr.28554

  21. Okuma Y, Hosomi Y, Imamura A. Lung cancer patients harboring epidermal growth factor receptor mutation among those infected by human immunodeficiency virus. Onco Targets Ther 8:111-115, 2014. DOI:10.2147/OTT.S76712

  22. Koon HB, Krown SE, Lee JY, et al.: Phase II trial of imatinib in AIDS-associated Kaposi's sarcoma: AIDS Malignancy Consortium Protocol 042. J Clin Oncol 32:402-408, 2014. DOI:10.1200/JCO.2012.48.6365

  23. Schlaberg R, Fisher JG, Flamm MJ et al.: Chronic myeloid leukemia and HIV-infection. Leuk Lymphoma 49:1155-1160, 2008. DOI:10.1080/10428190802074601

  24. Velu V, Shetty RD, Larsson M, Shankar EM: Role of PD-1 co-inhibitory pathway in HIV infection and potential therapeutic options. Retrovirology 12:14, 2015. DOI:10.1186/s12977-015-0144-x

  25. Le Garff G, Samri A, Lambert-Niclot S et al.: Transient HIV-specific T cells increase and inflammation in an HIV-infected patient treated with nivolumab. AIDS 31:1048-1051, 2017. DOI:10.1097/QAD.0000000000001429

  26. Hentrich M, Schipek-Voigt K, Jäger H et al.: Nivolumab in HIV-related non-small cell lung cancer. Ann Oncol 2017; July 6, Epub ahead of print. https://doi.org/10.1093/annonc/mdx321

10[Kapitel nicht relevant]

11[Kapitel nicht relevant]

12[Kapitel nicht relevant]

13[Kapitel nicht relevant]

15Anschriften der Autoren

Prof. Dr. med. Frank Griesinger
Pius Hospital Oldenburg
Universitätsklinik Innere Medizin-Onkologie
Klinik für Hämatologie und Onkologie
Georgenstr. 12
26121 Oldenburg
Prof. Dr. med. Marcus Hentrich
Rotkreuzklinikum München gGmbH
III. Medizinische Abteilung -
Hämatologie und Onkologie
Nymphenburger Str. 163
80634 München
PD Dr. Christian Hoffmann
ICH Stadtmitte
Adam · Hansen · Hoffmann · Sabranski · Schewe
Glockengießerwall 1
20095 Hamburg
Prof. Dr. med. Mark Oette
Krankenhaus der Augustinerinnen gGmbH Köln
Klinik für Allgemeine Innere Medizin,
Gastroenterologie und Infektiologie
Jakobstr. 27-31
50678 Köln
Prof. Dr. med. Markus Ruhnke
Helios Klinikum Aue
Klinik für Hämatologie/Onkologie
und Palliativmedizin
Gartenstr. 6
08280 Aue
Prof. Dr. med. Bernhard Schaaf
Pneumologie, Infektiologie und
internistische Intensivmedizin
Münsterstraße 240
44145 Dortmund
Dr. med. Jan Michael Siehl
Onkologie Seestrasse
Seestr. 64
13347 Berlin

16Erklärung zu möglichen Interessenkonflikten

nach den Regeln der DGHO Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie und den Empfehlungen der AWMF (Version vom 23. April 2010) sowie internationalen Empfehlungen

Download

Reference:

Quellenangabe:

Onkopedia-Leitlinien werden kontinuierlich an den Stand des Wissens angepasst. Die jeweils gültige Version, AGB und Nutzungsbedingungen finden Sie unter www.onkopedia.com.

Für die kommerzielle Nutzung wenden Sie sich bitte an onkopedia@dgho.de.

Onkopedia guidelines are continuously adapted to the state of knowledge. The currently valid version, terms of use and general terms and conditions can be found at onkopedia-guidelines.info.

For commercial use, please contact onkopedia@dgho.de.

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht für archivierte Versionen nicht zur Verfügung.