Respiratorische Virus – Infektionen bei Krebspatienten
1Zusammenfassung
Ambulant erworbene Virusinfektionen der Atemwege (Community-acquired respiratory tract infections (CRVs) können bei Krebspatienten zu schweren Krankheitsbildern führen. Dies erfordert Maßnahmen zur schnellen Diagnose und zum effektiven Management.
Die Leitlinie ‚Community acquired respiratory virus infections in cancer patients - Guideline on diagnosis and management by the Infectious Diseases Working Party of the German Society for haematology and Medical Oncology’ wurde von der Arbeitsgemeinschaft Infektionen der DGHO (AGIHO) für die Diagnostik und Therapie dieser Patienten erstellt [1]. Grundlagen der Empfehlungen sind eine systematische Literaturrecherche, die einheitliche Bewertung der Evidenzstärke [2] und ein Konsensfindungsprozess. Dies ist die Kurzfassung dieser Empfehlungen.
2Grundlagen
Die Leitlinien beruhen auf einer systematischen Literaturrecherche und einer einheitlichen Bewertung der Empfehlungsstärke (Tabelle 1) und Qualität der Evidenz (Tabelle 2) nach den Kategorien der European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID).
Klassifikation, Grad | Definition |
---|---|
A | Starke Empfehlung |
B | Moderate Empfehlung |
C | Schwache Empfehlung |
D | Empfehlung gegen den Einsatz |
Index (nur für Evidenzqualität Grad II, siehe Tabelle 2) | Definition |
---|---|
r | Metaanalyse oder systematische Übersicht kontrollierter, randomisierter Studien |
t | Evidenztransfer, d. h. Ergebnisse unterschiedlicher Patientenkohorten oder von Patienten mit ähnlichem Immunstatus |
h | Vergleichsgruppe ist eine historische Kontrolle. |
u | nicht-kontrollierte klinische Studie |
a | Abstract, publiziert bei einem internationalen Treffen |
2.1Definition
Infektionen durch ambulant erworbene Virusinfektionen der Atemwege (Community-acquired respiratory tract infections (CRVs) können zu unterschiedlichen Krankheitsbildern führen. Unterschieden werden:
Infektionen der oberen Atemwege (Upper Respiratory Tract Infection, URTI)
typische Symptome sind Husten, Auswurf, Halsentzündung und/oder Kurzatmigkeit
Grippe-ähnliche Erkrankung (Influenza-like Infection, ILI)
typische Symptome sind plötzliches Auftreten von Fieber, allgemeines Unwohlsein, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen oder mindestens ein Symptom von Infektionen der oberen Atemwege: Husten, Halsentzündung und/oder Kurzatmigkeit
Infektionen der unteren Atemwege (Lower Respiratory Tract Infection, LRTI)
klinischer oder radiologischer Nachweis einer Pneumonie
Zur Sicherung der viralen Genese ist der Virusnachweis in Abstrichen, aus Flüssigkeit von Spülungen des Nasen-Rachenraums oder einer bronchoalveolären Lavage erforderlich.
2.2Epidemiologie
Einige CRV-ähnliche Infektionen wie Influenza oder Infektionen mit dem Respiratory Syncytial Virus (RSV) unterliegen saisonalen Schwankungen, die meisten dieser Infektionen treten in den Wintermonaten auf. Andere Erreger wie Rhinoviren oder Parainfluenza verursachen jahreszeitlich unabhängige Infektionen. Zielgerichtete Diagnostik und angemessenes, klinisches Management ist bei allen symptomatischen Patienten unabhängig von der Jahreszeit erforderlich.
CRV-Infektionen können den Krankheitsverlauf bei Krebspatienten in unterschiedlicher Weise beeinflussen. Häufig führen sie zu einer Verzögerung der spezifischen, z. B. systemischen Krebstherapie. Lebensbedrohliche Verläufe sind bei Infektionen der oberen Atemwege selten. Die meisten Todesfälle treten bei Infektionen der unteren Atemwege auf. Die Mortalität hängt von dem jeweiligen Virus ab. Sie kann bei Influenza- oder RSV-Infektionen bei bis zu 25% liegen. Diese Daten sind allerdings vorsichtig zu bewerten, weil möglicherweise ungünstige Verläufe und Beobachtungen bei hochgradig immunsupprimierten Patienten z. B. nach Stammzelltransplantation häufiger publiziert werden. Bei etwa 30% der CRV-Infektionen treten Ko-Infektionen mit Bakterien, Pilzen oder anderen Viren auf. Vor allem bakterielle und fungale Ko-Infektionen haben entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung.
Weitere negative Risikofaktoren bei CRV-Infektionen sind
maligne hämatologische Grunderkrankung
Immunsuppression: Steroide, Graft-versus-Host Erkrankung, Zytopenie
niedrige Immunglobulin-Werte
3[Kapitel nicht relevant]
4[Kapitel nicht relevant]
5Diagnose
5.1[Kapitel nicht relevant]
5.2Diagnostik
Bei Krebspatienten mit charakteristischen Symptomen einer CRV-Infektion sollte eine gezielte Diagnostik eingeleitet werden. Empfehlungen sind in Tabelle 4 zusammengefasst.
Fragestellung / Ziel | Untersuchung | Empfehlung und Evidenz [2] |
---|---|---|
Nachweis eines viralen Erregers | Abstriche aus Nase / Rachen oder aus Flüssigkeit von Spülungen des Nasen-Rachenraums oder einer bronchoalveolären Lavage (BAL) | A-II
|
Untersuchung mittels DNA/RNA Amplifikation (Nucleic acid amplification techniques, NAT) | A-II | |
Nachweis eines viralen Erregers und Diagnose der Virusinfektion | Serologie | D-III |
Nachweis einer Infektion der unteren Atemwege (LTRI) | CT Thorax | A-II |
Nachweis einer Infektion der unteren Atemwege (LTRI) | Röntgen Thorax | D-II |
6Therapie
6.1Therapiestruktur
6.1.1Infektionskontrolle
Angesichts des Risikos von lokalen Virusepidemien mit fatalen Konsequenzen besteht die wichtigste Maßnahme in der Infektionskontrolle. Maßnahmen sind in Tabelle 5 zusammengefasst.
Maßnahme | Empfehlung und Evidenz [2] |
---|---|
Hände-Hygiene | A-IIt |
Gesichtsmaske | B-IIt |
Isolierung (Kontakt-Isolierung) | A-III |
6.1.2Supportive Maßnahmen und Management
Es gibt keine belastbare Evidenz zur Wirksamkeit gängiger Maßnahmen, einschl. Hausmitteln, auf den Infektionsverlauf bei Krebspatienten. Das betrifft Vitamin C, Echinacea, Knoblauch, Zink, Inhalationen mit Luftbefeuchtern, chinesische Kräuter u. a. Auch Schmerzmittel oder nicht-steroidale Antiphlogistika haben nur wenig Einfluss auf Schwere und Dauer des Krankheitsverlaufs. Allerdings gibt es Hinweise auf einen beträchtlichen Placebo-Effekt dieser Maßnahmen. Sie können eingesetzt werden, solange kein Hinweis auf eine möglicherweise schädliche Wirkung vorliegt. Allgemeine Maßnahmen mit Bezug zur jeweiligen Grundkrankheit sind in Tabelle 6 zusammengefasst.
Risikogruppe | Viruserkrankung / Virusnachweis | Ziel | Maßnahme | Empfehlung und Evidenz [2] |
---|---|---|---|---|
Allogene SZT | Nachweis von CRV | Prävention der Virusinfektion; Verbesserung der Überlebensrate | Verschiebung der Konditionierung | A-II |
Alle andere Chemotherapien | Nachweis von CRV | Prävention der Virusinfektion; Verbesserung der Überlebensrate | Verschiebung der Chemotherapie, wenn möglich | C-III |
Allogene SZT | Pneumonie (LRTI) und Nachweis von Adenoviren | Prävention der Virusinfektion; Verkürzung der Infektionsdauer | Reduktion der Immunsuppression | A-II |
Allogene SZT | Pneumonie (LRTI) und Nachweis von CRV | Prävention der Virusinfektion; Verkürzung der Infektionsdauer | Reduktion der Immunsuppression | A-IIt |
Allogene SZT | Infektion der oberen Atemwege (URTI) und Nachweis von CRV | Prävention der Virusinfektion; Verkürzung der Infektionsdauer | Reduktion der Immunsuppression | C-III |
Immunsuppression | Nachweis von CRV | Reduktion der Morbidität | Steroide >2mg/kg KG | D-III |
Allogene SZT | Nachweis von RSV | Prävention der Pneumonie (LRTI); Verbesserung der Überlebensrate | IVIG | B-III |
Allogene SZT | Nachweis von Influenza, PIV, hMPV | Prävention der Pneumonie (LRTI); Verbesserung der Überlebensrate | IVIG | C-III |
6.1.3Antivirale Therapie
Die Empfehlungen für spezifische Arzneimittel sind in Abbildung 1 zusammengefasst.
6.1.3.1Influenza
Traditionell wurden bei als therapiepflichtig eingestuften Patienten Amantidin oder Rimantadin eingesetzt. Die Resistenzraten sind inzwischen so hoch, dass diese Arzneimittel nicht mehr empfehlen werden, siehe Tabelle 7. Als Arzneimittel der Wahl gelten Neuraminidase-Inhibitor unter Abwägung von Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Sie sind sowohl für die Therapie als auch für die Prophylaxe geeignet [3].
Risikogruppe | Viruserkrankung / Virusnachweis | Ziel | Arzneimittel | Empfehlung und Evidenz [2] |
---|---|---|---|---|
Immunsuppression | Influenza | Prävention der Virusinfektion; Verkürzung der Krankheitsdauer | Oseltamivir | B-II |
Immunsuppression | Influenza | Prävention der Virusinfektion; Verkürzung der Krankheitsdauer | Zanamivir | B-II |
Immunsuppression | RSV | Verhinderung von LTRI (Pneumonie), Verbesserung der Überlebensrate | Ribaravin | B-II |
Immunsuppression | Parainfluenza | Verhinderung von LTRI (Pneumonie), Verbesserung der Überlebensrate | Ribaravin | C-III |
Adenovirus-assoziierte Pneumonitis | Adenoviren | Heilung | Cidofovir | B-II |
Allerdings liegen bisher kaum Daten für die Wirksamkeit dieser Arzneimittel bei Krebspatienten vor. Studien wurden fast ausschließlich bei Transplantationspatienten durchgeführt. Deswegen können keine allgemeingültigen Empfehlungen für oder gegen den Einsatz spezifischer Arzneimittel bei Krebspatienten gegeben werden. Es sollten lokale Protokolle zum Umgang mit Influenza, die mit den lokalen Infektiologen abgestimmt sind, Anwendung finden. Dazu gehören:
Indikationen zur Therapie
Indikationen zur Prophylaxe/Post-Expositionsprophylaxe
Dosierung.
Bei der Erstellung dieser Protokolle gilt es zu beachten, dass Krebspatienten deutlich länger brauchen, bis die Befunde aus respiratorischen Materialien negativ geworden sind, was eine längere Dauer der Behandlung und Hygiene-Maßnahmen in diesem spezifischen Setting rechtfertigt, in der Regel bis zum negativen Befund.
6.1.3.2Respiratory Syncytial Virus (RSV)
RSV-Infektionen werden in der Regel mit intravenösem Immunglobulin und Ribavirin behandelt. Der monoklonale Antikörper Palivizumab ist in Europa nur für Kinder zugelassen. Sein Zusatznutzen gegenüber Immunglobulinen ist nicht sicher belegt.
6.1.3.3Parainfluenza (PIV)
Die Erfahrungen mit antiviraler Therapie, vor allem Ribavirin, ist begrenzt. Die Wirksamkeit ist nicht sicher belegt, möglicherweise auch aufgrund späten Behandlungsbeginns und aufgrund relevanter, bakterieller Koinfektionen. Dennoch kann ein Therapieversuch mit Ribavirin gerechtfertigt sein.
6.1.3.4Adenovirus
Eine antivirale Therapie mit Cidofovir ist bei immunsupprimierten Patienten mit Infektionen der unteren Atemwege (Pneumonie) gerechtfertigt. Experimentelle Ansätze bei Patienten nach allogener Stammzelltransplantation sind Infusionen von Spenderlymphozyten (DLI) oder der adaptive Transfer von spezifischen T-Zellen.
6.1.3.5Humaner Metapneumovirus (hMPV), Rhinovirus, Coronavirus und andere
Die kausale Therapie mit Ribavirin hat bei diesen Virusinfektionen keine überzeugenden Ergebnisse erzielt. Deswegen können keine allgemeingültigen Empfehlungen für oder gegen den Einsatz spezifischer Arzneimittel bei Infektionen mit diesen Viren bei Krebspatienten gegeben werden.
7[Kapitel nicht relevant]
8[Kapitel nicht relevant]
9Literatur
von Lilienfeld-Toal M, Berger A, Christopeit M et al.: Community acquired respiratory virus infections in cancer patients - Guideline on diagnosis and management by the Infectious Diseases Working Party of the German Society for haematology and Medical Oncology . Eur J Cancer 67:200-212, 2016. DOI:10.1016/j.ejca.2016.08.015#
Maschmeyer G et al.:Onkopedia-Leitlinie Infektionen in der Hämatologie und Onkologie, 2018
http://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/I/Influenza/IPV/IPV_Node.html